Hallo Chemiker...
Fanclub "Sprechende Hände - Leutzsch -" - Zeitung-Interview
seit 06.01.2010

 

Leutzscher Fankultur: „Die Stimmung hören wir mit unserem Gefühl“

Marko Hofmann / Sebastian Beyer

08.08.2010

Der FC Sachsen Leipzig-Fanclub "Sprechende Hände Leutzsch".

Vor einem Jahr haben drei Fans des FC Sachsen Leipzig richtig Mut bewiesen. In Zeiten des grün-weißen Neuanfangs gründeten sie einen Fanclub. Schon aufgrund der damaligen Lage des Vereins ein ungewöhnliches Vorhaben. Noch ungewöhnlicher ist allerdings, dass diese drei Fans gehörlos sind. Uwe Kapper, ein Gründer des Fanclubs „Sprechende Hände Leutzsch“ über das Fanleben eines gehörlosen Leutzscher Fußballfreunds.

Sie sind zwischen 25 und 57 Jahre, kommen aus Sachsen oder Sachsen-Anhalt, also aus Leipzig, Wittenberg, Coswig, Hohenturm oder Zerbst. Sie sind Bürokaufmann, Tischler, Zerspanner, Buchbinder oder Hartz IV-Empfänger. Sie sind Fans des FC Sachsen und sie sind gehörlos. Uwe Kapper ist ein Gründungsmitglied des Fanclubs „Sprechende Hände Leutzsch“. Mit L-IZ.de sprach er über den Alltag von Fußballfans, die im Stadion eher selten zu sehen sind.

Herr Kapper, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Fanclub für Gehörlose zu gründen?
Wir waren zu Beginn drei Gehörlose, die eingefleischte Chemie-Fans sind. Nach vielen Jahren haben wir uns wieder getroffen uns haben uns gefragt, warum wir nicht einen eigenen Fanclub speziell für Gehörlose sowie für Leute mit Hörbehinderung gründen sollten.

Wie haben die anderen Fans reagiert, als auf einmal ein Fanclub von Gehörlosen im Stadion aufgetaucht ist?
Aus meiner Sicht kann ich das schwer sagen. Einige waren auf jeden Fall begeistert, wie Sie an den Einträgen in unserem Homepage-Gästebuch sehen können.

Wie werden Sie fast ein Jahr nach Gründung von den anderen Fans aufgenommen?
Vom Fanclubverband des Vereins auf jeden Fall positiv. Sie haben uns für unseren Mut, einen derartigen Fanclub zu gründen, gelobt. Über das Jahr haben wir zudem einige Fans kennengelernt. Im vorigen Jahr habe ich beispielsweise viele Arbeitseinsatz-Stunden im AKS geleistet und da viele neue Fans kennengelernt. Am Anfang war es natürlich schwer, aber im Laufe der Zeit wurde es immer enger und vertrauter. Mit einigen Fans bin ich dadurch befreundet und manche haben meine Freunde und mich auch schon auswärts mit dem Auto mitgenommen.


Die Kommunikation mit anderen Fangruppen und Fans im Stadion ist sich er nicht ganz einfach. Wie funktioniert es?
Mit Händen und Mimik. Nicht alle von uns sind gehörlos, manche können etwas hören, aber da müssen die Fans langsam sprechen. Notfalls muss etwas aufgeschrieben werden.

 
Wie gehen Sicherheitskräfte und Polizei mit Ihnen um?
Das ist eigentlich bei Heimspielen kein Problem. Auswärts gab es schon einige Probleme, vor allem wenn viele Fans mitfahren. Einmal bin ich mit anderen Fans zum Bahnhof gegangen und ein Polizist hat mich gestoßen. Ich bin wohl über eine Sperrlinie oder so etwas gelaufen. Ich habe aber nicht gehört, wo ich hinlaufen soll und ich konnte auch nicht durch das geschlossene Visier seinen Mund sehen, um von seinen Lippen ablesen zu können. Das war aber ein Einzelfall.

Und der Fanclubverband?
Zurzeit ist das Verhältnis gut. Am Anfang war es nicht leicht, aber nun klappt es immer besser. Ich bekomme regelmäßig Informationen per Email, sogar die Protokolle von Versammlungen, da ich den Versammlungen ja nicht folgen kann.

Wie feuern Sie Ihre Mannschaft an?
Selbstverständlich durch Schreien, Brüllen und Grölen, denn wir sind zwar taub, aber nicht stumm.

Haben Sie in der Gebärdensprache ein besonderes Wort oder Zeichen für Sachsen Leipzig?
Natürlich gibt es Gebärdensprache für Sachsen/ Chemie Leipzig.

In einem Stück von Herbert Grönemeyer gibt es die Zeilen "Sie mag Musik nur wenn sie laut ist, wenn der Boden unter den Füßen bebt. Dann vergisst sie, dass sie taub ist." Wie nehmen Sie die Stimmung im Stadion wahr?
Das ist schwer zu sagen. Wir können nach Gefühl hören. Nur wenn es richtig laut wird, beispielsweise bei Böllern, Trommeln und wenn wir nah dran sind können wir etwas hören. Ich aber nur, wenn ich ein Hörgerät trage. Die Gesänge können wir durch unser körperliches Gefühl
hören.

Wie ist das Verhältnis zum Verein?
Zum Vorstand haben wir eher wenig Kontakt. Dafür haben wir wie gesagt zum Fanclubverband und zum Team des Radio Leutzsch einen guten Kontakt. Sie haben für uns den Live-Ticker erstellt damit auch wir das Spiel verfolgen können. Ich selbst bin auch Mitglied im Verein.

Sie feiern in einem guten Monat den ersten Geburtstag des Fanclubs. Was waren die größten Veränderungen in dieser Zeit?
Das Zusammengehörigkeitsgefühl auf jeden Fall. Wir sind wirklich stolz, dass wir trotz Gehörlosigkeit uns öffentlich im Stadion zeigen können und das wir zur grün-weißen Fanszene gehören.

Auf Ihrer Internetseite steht, dass Sie gern Freunde, die früher mit bei den Spielen waren, zurück ins Stadion holen wollen. Haben Sie das schon geschafft?
Ja, aber eben nicht alle. Einige sind verzogen, andere sind überrascht verstorben. Wichtig ist, dass der erste Schritt getan ist.

 
In einem Fußballstadion sieht man sehr wenige Menschen mit Handicap. Warum ist das so?
Es gibt einige körperbehinderte Personen, die ins Stadion gehen, aber geistbehinderte gehen eher nicht. Auffallend sind die Rollstuhlfahrer. Vor allem im Zentralstadion waren viele von ihnen da. Jetzt ist es nur noch einer, wahrscheinlich weil im Alfred-Kunze-Sportpark zu wenig Platz an der Seite ist. Früher gab es insgesamt mehr Menschen mit Handicap im Stadion. Warum heute nur noch so wenig kommen, ist schwer zu beantworten. Ich denke, wenn man mehr behindertenfreundliche Angebote machen würde, wie Bustransfer für Rollstuhlfahrer, für Hörbehinderte eine optische Anzeige von Ergebnissen, Zuschauerzahl und die Tickets ermäßigen würde, würde man mehr anlocken. Aus meiner Sicht haben behinderte Menschen Angst vor Beleidigungen und Pöbeleien. Der Fanclubverband oder der Vorstand sollten sich für Menschen mit Behinderung deutlicher stark machen.

Wie bewerten Sie die letzten Jahre beim FC Sachsen?
Seit der letzten Insolvenz war ich zunächst sehr enttäuscht und wollte nicht mehr ins Stadion gehen. Die letzte Saison hat uns als Fanclub aber wieder optimistisch gestimmt. Die junge Mannschaft wird sich in der Zukunft gut entwickeln. Nur bei den Zuschauerzahlen
hapert es noch. Auch die Probleme in der Fanszene zwischen Sachsen und Chemie machen uns traurig.

Was muss der Verein tun damit wieder mehr Leute ins Stadion kommen?
Er sollte trotz Red Bull gezielt mehr Werbung machen und eine Einigung zwischen beiden grün-weißen Vereinen anstreben.


Nun hat der FC Sachsen eine spannende Saison vor sich. Wo landet die Mannschaft am Ende und warum?
Ich hoffe auf eine gute Saison, die wir möglichst im oberen Tabellendrittel beenden. Vom Aufstieg sollte man wegen der finanziellen Lage noch nicht träumen.

Wer gewinnt das Derby und werden Sie da sein?
Na klar werden wir da sein. Als Fan möchte ich immer Siege sehen.

Wer kann Ihrem Fanclub beitreten?
Jeder Fan, der sich mit Sachsen/ Chemie Leipzig identifiziert kann eintreten. Wäre gut, wenn er gehörlos oder hörbehindert ist. Wir haben auch nichts gegen "Hörende", aber es gibt auch viele andere Fanclubs.

Homepage des Fanclubs:
www.sprechendehaende.de.tl



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